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Kreislaufwirtschaft bei Konstruktion und Bau

Wie Kreislaufwirtschaft die Welt des Bauens verändern kann und Verbraucher und Umwelt davon profitieren.


09.08.2022 - 08:42 Uhr
EU Ratsgebäude in Brüssel

Europäisches Symbol: Das noch junge Ratsgebäude der EU in Brüssel, ein Entwurf des belgischen Architekten Philippe Samyn, hat Symbolcharakter gleich auf zwei Ebenen: Die attraktive, riesige Fassade des Konferenzbaus besteht aus alten, wiederverwendeten Fenstern und dient als Vorbild für ein dringend benötigtes ökologisches Umdenken beim Bau. Das Material stammt aus allen Mitgliedsländern und soll Zeichen des europäischen Zusammenhalts sein.

Foto: Marie-Françoise Plissart /Philippe SAMYN and PARTNERS architects & engineers, LEAD and DESIGN PARTNER. With Studio Valle Progettazioni architects, Buro Happold Limited engineers. Foto: © Marie-Françoise Plissart

Bauen verursacht etwa 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes und mehr als 50 Prozent des Abfalls. Die Bau- und Abbruchabfälle summieren sich hierzulande jährlich auf 209 Millionen Tonnen. Das entspricht 52 Prozent des deutschen Abfallaufkommens. Energieverbrauch und Materialverbrauch sind im Bauwesen enorm. Aber die Ressourcen unseres Planeten sind endlich: Die Erde ist ein geschlossenes System. Was verbraucht ist, das ist verbraucht. Heute ist in manchen Weltregionen bereits der Bausand knapp. Wir benötigen also dringend einen neuen Umgang mit Ressourcen, besser noch eine neue Einstellung gegenüber Ressourcen. Eigentlich sollte nichts mehr verloren gehen.

Einer der Vordenker für die Kreislaufwirtschaft bei Konstruktion und Bau ist der deutsch-niederländische Architekt und Unternehmer Thomas Rau. Er betreibt in Amsterdam ein Büro, das derartige Modelle entwickelt. In seinem Buch „Material Matters“, im Econ Verlag erschienen, hat er gemeinsam mit seiner Frau Sabine Oberbauer ein neues Wirtschaftssystem skizziert, in dem die Erhaltung und gemeinsame Nutzung endlicher Ressourcen im Mittelpunkt steht. Nachhaltigkeit kommt dabei übrigens nicht so gut weg.

Experten-Interview zur Kreislaufwirtschaft beim Bauen

Herr Rau, Sie mögen keine Nachhaltigkeitszertifikate. Warum?

Thomas Rau: „Ich glaube nicht, dass wir unsere Umweltprobleme mit nachhaltigen Maßnahmen bewältigen können. Nachhaltigkeit bedeutet, dass ich das Gängige optimiere. Bei Optimierung werden aber die Entwicklungsschritte immer kleiner und damit immer teurer. Am Ende beginnt man dann oft zu manipulieren. Was da rauskommt, das konnte man beim Diesel-Skandal der Automobilindustrie sehen. Optimieren ist eine Möglichkeit, die auf alten Verfahren aufsetzt. Nachhaltigkeitszertifikate belohnen also sozusagen alte Fehler. Ich möchte aber etwas ganz Neues. Mir ist natürlich bewusst, dass für viele Menschen solche Zertifikate heute eine Orientierung sind. Aber sie führen nicht zum notwendigen Ergebnis, die Probleme zu lösen. Es gilt vielmehr, die alte Form des Bauens zu überwinden und neue Wege zu beschreiten."

Thomas Rau, Portrait

Thomas Rau gilt als einer der Vordenker für ein neues System der Kreislaufwirtschaft bei Konstruktion und Bau. Zahlreiche seiner Ideen findet man auf thomasrau.eu.

Foto: Brian de Mello

Ihrer Meinung nach reicht Nachhaltigkeit nicht aus?

„Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sie haben Atemprobleme und gehen zum Arzt. Der sagt Ihnen, Sie haben leider Lungenkrebs, und fragt, wie viel Sie rauchen. Sie antworten, etwa 60 Zigaretten am Tag. Dann empfiehlt der Arzt, wenn Sie jetzt in den nächsten Jahren jedes Jahr 10 Zigaretten weniger pro Tag rauchen, dann sind Sie in sechs Jahren gesund. Wir wissen, das ist totaler Unsinn. Die einzige Möglichkeit, dem Krebs vielleicht zu begegnen, ist, sofort mit dem Rauchen aufzuhören. Besser noch wäre es gewesen, gar nicht erst anzufangen. Es geht nicht um Optimieren, es geht um einen anderen Weg."

Welche Strategie für das Bauen empfehlen Sie?

„Wir müssen endlich aufhören, auf die klassische Weise zu bauen. Vielmehr müssen wir logische Prozesse organisieren, an deren Ende ein Gebäude steht. Am Anfang eines Baus ist das Bedürfnis nach einem Haus, der Wunsch nach einem Dach über dem Kopf für mich und meine Familie. Dann folgt die Entscheidung für den Ort des Baus. Im dritten Schritt benötige ich für mein Bauvorhaben Materialien. Das sind Materialien, die der ganzen Menschheit gehören."

Wo kommt nun das Neue ins Spiel?

„Heute gesellt sich dazu die Frage: Wie kann ich die Ressourcen für den Bau verantwortungsvoll benutzen? Dabei müssen wir realisieren: Jedes menschliche Bedürfnis ist ein zeitliches, denn alles ist endlich. Also sollte die Antwort auf das Bedürfnis nach einem Haus auch eine zeitliche sein, oder? Ein Gebäude muss ein temporäres Konzept sein. Denn die Bedürfnisse ändern sich. Es wird ein Moment kommen, an dem niemand mehr mein Gebäude haben möchte: Alle Baustoffe sollten wieder für ein zukünftiges neues Gebäude verwendet werden können. Denn die Erde ist ein geschlossener Kreislauf. Alle Materialien sind begrenzt, also „limited editions“. Zum Teil spüren wir das bereits. Wie beim Bausand. Ich muss also so bauen, dass diese Ressourcen niemals verloren gehen."

Wie sähe das dann in der Praxis aus?

„Ich muss beim Bauen vorausdenken, dass ich nach dem Gebrauch des Gebäudes alle Materialien wieder herauslösen kann. Das Ganze ist ein logistischer Prozess. Man kann auch sagen: Ein Bau ist ein organisiertes Material-Depot auf Zeit. Irgendwann in der Zukunft wird jemand mit dem gleichen Material ein anderes Gebäude errichten."

Das erinnert mich an den Lego-Baukasten meiner Kinder.

„Genau! Beim Lego-Kasten käme doch auch niemand auf den Gedanken, die Steine nach dem Bau eines Hauses wegzuschmeißen. Wenn uns die Begrenztheit der Mittel, die zur Verfügung stehen, bewusst wird, dann achten wir auf unsere Baumaterialien und darauf, dass nichts verloren geht."

Observatorium in Form eines Eis

Das riesige Ei: Dieses Observatorium für Vogelfreunde nahe Stellendam in den Niederlanden ist streng sortenrein gebaut: eine tragende Konstruktion aus Holz und Metall, darüber ein einprägsames Reetdach. Alles lässt sich am Ende der Lebensdauer problemlos demontieren und bei Bedarf neu verwenden. So geht Kreislaufwirtschaft am Bau.

Foto: Katja Effting
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Müssen wir dazu das Bauen neu erfinden?

„Das Bauen wird immer wieder neu erfunden und richtet sich nach dem Bewusstsein der Menschen."

Ist Ihr Vorschlag etwas anderes als Recycling?

„Recycling reicht nicht! Denn dabei nutzt man Material im Nachhinein meist für etwas, das vorher nicht bedacht wurde. Das führt zu großen Verlusten. Wenn es zu teuer ist, das Material irgendwo herauszulösen, dann landet es auf dem Müll oder wird als Bauschutt unter unseren Autobahnen vergraben. Wiederverwendung wird heute nur genutzt, wenn es Gewinn verspricht. So verlieren wir aber zu viel Materialien oder, anders gesprochen: Wir erzeugen zu viel Abfall. Ein Müllsack ist eine wilde, anonyme Mischung. Aber wenn man hineinschaut, dann findet sich dort zum Beispiel Kupfer. Das ist natürlich kein Müll, sondern ein wertvoller Rohstoff. In dem Moment, wenn wir den Müll in seinen Bestandteilen anschauen, ist das kein Abfall mehr."

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Was schlagen Sie vor?

„Wir müssen dem Material, das wir benutzen, eine Identität geben. Dann wird aus keinem Baustoff mehr Abfall. Wir haben deshalb vor neun Jahren begonnen, beim Bau von Gebäuden den verwendeten Ressourcen einen Material-Pass zu geben. Jetzt weiß man genau, was in dem Gebäude steckt, und kann es später wieder nutzen."

Das Gebäude wird also zu einer Art Baustoff-Mine?

„Nicht nur das Material auf der Erde ist begrenzt, auch die Oberfläche unseres Planeten, der Baugrund, ist endlich. Das haben schon unsere Vorfahren gewusst, deshalb haben sie das Katasteramt eingeführt, das die Grundstücke verzeichnet. So ein Kataster ist eine Bibliothek für die Oberfläche der Erde. Etwas Vergleichbares haben wir jetzt für Material gegründet, das Madaster. Das ist eine Bibliothek für die begrenzten Ressourcen unserer Erde. Das Madaster gibt Material, das in Gebäuden auf eine bestimmte Zeit genutzt wird, eine Identität."

Gibt es das bereits?

„Wir haben vor drei Jahren in Holland angefangen und dort bereits ein paar Millionen Quadratmeter auf der Plattform registriert. Seit ein paar Monaten gibt es das auch in der Schweiz und der Start in Deutschland steht kurz bevor. Danach werden Norwegen und Taiwan folgen. Die Idee ist, alle Materialien der Erde in der öffentlichen Material-Bibliothek zu registrieren."

Material aus alter Villa, verbaut in einem neuen Gebäude

Aus alt mach neu: Nicht neu bauen, sondern nutzen, was bereits vorhanden ist. Das schont die Ressourcen am besten. Deshalb entschieden sich Bauherr und der Architekt Thomas Rau dafür, die 60erJahre-Villa nicht abzureißen, sondern den Rohbau für dieses Projekt zu nutzen. Die Energieerzeugung erfolgt über einen Holzpelletofen und PV-Module.

Foto: Marcel van der Burg

Wie funktioniert das in der Praxis?

„Wenn ich ein Haus bauen möchte, dann beauftrage ich meinen Architekten, alle verwendeten Baustoffe im Madaster zu registrieren. Für ein Einfamilienhaus kostet das in den Niederlanden 19,95 Euro pro Jahr. Man bekommt dann einen Material-Pass, den die Software erstellt. Dort lässt sich auch ganz einfach der Materialwert des Hauses berechnen. Das ist interessant für den Wert einer Immobilie. Denn wenn ich den Materialwert kenne, dann muss ich ein Haus ja am Ende seiner Nutzung nicht auf null abschreiben. Selbst wenn dort niemand mehr wohnen möchte, besitzt das Haus immer noch seinen Materialwert. Das ist ein riesiger finanzieller Vorteil."

Dafür muss das Gebäude aber komplett demontierbar sein.

„Ja, am besten wie ein Riesenrad auf der Kirmes. Das steht ja auch nur temporär und ist so konstruiert, dass man es schnell wieder auseinandernehmen kann."

Mit dem Pass für das Material wird das Haus dann zum Baustofflager in der Zukunft?

„Genau. Wer für seinen Bau ein Dach benötigt, der kann sich in einem Umkreis von vielleicht hundert Kilometern umschauen, ob dort ordentliche Dachziegel zur Verfügung stehen. Das wird in Zukunft wahrscheinlich ein Händler für gebrauchte Baustoffe machen, der mit seinem Handel auf den Daten des Madasters aufsetzt. Das lässt sich digital heute sehr gut organisieren. So wird es in Zukunft keine Knappheit an Rohstoffen und an Material geben. Wenn wir unseren Umgang mit Materialien gut organisieren und dokumentieren, dann haben wir genug von allem."

Wird es so etwas auch bald für den Wohnungsbau geben? 

„Wir bereiten gerade ein Projekt mit Wohnhäusern vor, die wir als Materialdepot konzipieren. Das wird deutlich kostengünstiger werden als ein klassischer Bau. Ein neues Konzept braucht auch auf jeden Fall einen finanziellen Vorteil."

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